Lässt sich ein System gewaltfrei modifizieren? Inwieweit kann der öffentliche Raum als ein Ort des Diskurses genutzt werden?
Der uns umgebende städtische Raum birgt eine Masse an sich verändernden Zeichen und sozio-kulturellen Codes. Coco Bergholms Einzelausstellung ›Echos‹ widmet sich den subtilen Kommunikationsstrukturen, jene, die wir manchmal erst auf den zweiten Blick bemerken. Sie bedient sich dabei den Mitteln der Camouflage, die sie in ihren Arbeiten als eine Art Deckmantel nutzt, um den Blick für Inkonsistenzen und Selbstwidersprüche unserer gesellschaftlichen Muster zu schärfen. Welche Facetten der Tarnung und Privatheit bietet der öffentliche – also offene – Raum? Welches Potential für Austausch, Kommunikation und Meinungsbildung birgt er?
Bergholms Ausgangspunkt ist die Falte. Teils malerisch und fotografisch, teils in Form von tatsächlicher Kleidung rückt sie in Falten geworfene Oberflächen ins Bild. In Bergholms künstlerischen Ansatz erscheint die Falte aber alles andere als einfältig, denn sie verweist in ihrer visuellen Präsenz auf grundlegende Referenzordnungen: ein Faltenwurf setzt immer ein Minimum an Kraft voraus, der den zuvor glatten Stoff in seiner Form veränderte. Aufgrund der flexiblen Stofflichkeit der zusammenhängenden Fasern, evoziert eine Falte meist eine weitere. Diese gegenseitige Bedingtheit der Wirkverhältnisse lässt sich metaphorisch in den Sphären der Sprache und der Zeichen weiterdenken, die Bergholm bewusst in Form von Zitaten und Parolen in ihre Ausstellung einbindet. Jedes Wort und jede Geste bedingt wiederum eine andere. Eine These oder eingenommenen Haltung ist durch einen bestimmten Stimulus angestoßen worden und erzeugt wiederum neue Impulse. Diese Art von sich gegenseitig animierender Assoziationsbrücken rezipiert und testet Bergholm sowohl in ihrer künstlerischen Praxis als auch in ihrem konzeptuellen Ausstellungsarrangement.
Ähnlich wie das ›Konzept der drei Häute‹ von Friedensreich Hundertwasser, demnach der Mensch von drei Schichten umgeben ist - der organischen Haut, der Kleidung und den Gebäudemauern - versteht Bergholm den öffentlichen Stadtraum als eine Art verflochtene Oberfläche. Von einer konkreten Stofflichkeit ausgehend lassen sich urbane Charakteristika wie Graffiti, Plakate, Schriftzüge etc. als eine Art Veränderungen der ursprünglichen Form, als Falten oder widerhallende Echos interpretieren. Ganz unmittelbar partizipiert jeder von uns daran, nicht allein als handelndes, sprechendes Individuum, sondern auch mit den visuellen Ausdrucksmöglichkeiten unserer eigenen Oberfläche: mit tätowierter, geschminkter Haut, mit unserer Kleidung, mit der Gestaltung unseres (Wohn-)raums.
Ein Echo ist ein Widerhall, der dann entsteht, wenn die Reflexionen einer Schallwelle durch eine Distanz so stark verzögert sind, dass der vorausgegangene Schall als separates Hörereignis wahrnehmbar wird. Damit ist das Echo, wie der sich fortsetzende Faltenwurf, ähnlich aber nie identisch mit seinem Vorgänger. Als künstlerisches Konzept angewendet, kann diese getarnte Abweichung, mindestens gedankliche Perspektivwechsel anstoßen.
Can a system be modified without violence? To what extent can public space be used as a place of discourse? The urban space surrounding us contains a mass of changing signs and socio-cultural codes. Coco Bergholm makes use of camouflage, which she uses in her works as a kind of cloak to sharpen the eye for inconsistencies and self-contradictions in our social patterns. What facets of camouflage and privacy does the public - meaning open - space offer? What potential for exchange, communication and opinion-forming does it hold?
Bergholm's starting point is the fold. Partly in painting and photography, partly in the form of actual clothing, she brings surfaces thrown into folds into the picture. In Bergholm's artistic approach, however, the fold appears anything but simple, for in its visual presence it refers to fundamental orders of reference: a fold always presupposes a minimum of force, which changes the previously smooth fabric in its form. Due to the flexible nature of the fibres, one fold usually evokes another. This reciprocal dependence of the conditions of action can be further developed metaphorically in the spheres of language and signs, which Bergholm consciously incorporates into her exhibition in the form of quotations and slogans. Each word and each gesture in turn conditions another. A thesis or a posture adopted is triggered by a certain stimulus and in turn generates new impulses. Bergholm receives and tests this kind of mutually animating associative bridges both in her artistic practice and in her conceptual exhibition arrangement.
Similar to the Three Skins concept', according to which man is surrounded by three layers - organic skin, clothing and building walls - Bergholm understands public urban space as a kind of interwoven surface. Starting out from a concrete materiality, urban characteristics such as graffiti, posters, lettering, etc. can be interpreted as a kind of alteration of the original form, as folds or echoing echoes. Each one of us participates directly, not only as an acting, speaking individual, but also with the visual expressions of our own surface: with tattooed, make-up skin, with our clothing, with the design of our (living) space.